Die Nacht im Zug war ruhig und so angenehm, wie eine Schlafwagenfahrt nur sein kann. Die Temperaturschwankungen störten ein Wenig. Bisweilen wurde rangiert, eine Zeit lang stand der Wagen irgendwo herum.
Gegen halb Sieben wachten wir auf und machten uns abwechselnd an dem winzigen Waschbecken frisch. Zu zweit kann man sich auf dem engen Raum des Abteils nicht bewegen. Einer muss immer auf dem Bett sitzen und warten, bis der andere fertig ist. Später kam der beflissene Schaffner und brachte Kaffee, sowie die Botschaft, dass wir vierzig Minuten Verspätung hätten. Das hatten wir nach einem Blick aufs GPS auch schon geahnt. Wir verspeisten etwas von unserem Proviant und die Frühstückshörnchen, die wir im Spiegelschrank gefunden hatten und schauten hinaus in die üppig grüne, fast völlig ebene und oft sumpfige Landschaft. Auch hier schien es schon länger ergiebig geregnet zu haben. Der sandige Boden war oft aufgeweicht, auf Feldern und Wiesen stand Wasser.
Wir kamen in Warschaus hochmodernem Zentralbahnhof an und versuchten erst einmal an verschiedenen Informationsschaltern den für die Weiterfahrt gebuchten Zug zu verifizieren. Er steht nicht auf den Abfahrtstafeln, aber es scheint ihn zu geben. Dann machten wir uns auf den Weg zum Hotel. Dort konnten wir unser Gepäck abstellen, dann starteten wir zu einem ersten Rundgang.
In der Umgebung des Zentralbahnhofs stehen hohe Wolkenkratzer und moderne Glaspaläste unmittelbar angrenzend an weite Ruinengrundstücke und heruntergekommene Altbauten. Anders in der Gegend des Schlosses, wo nach dem Krieg fast alle Gebäude originalgetreu wieder aufgebaut worden waren, so dass sich das Bild einer historischen Stadt bietet. Wir folgten einem Rundgang aus dem Reiseführer und sahen hübsche Gassen, Plätze, die Stadtmauer, ein paar Kirchen und einige Aussichtspunkte. Außerdem, wie zu erwarten, zahlreiche Touristen, Souvenirläden, einige Pferdekutschen und ein Touristenbähnle. In einem Straßencafe machten wir Pause.
Von den interessanten modernen Dachgärten der Universitätsbibliothek und des Kopernikus-Zentrums hatten wir einen weiten Rundblick über die Stadt. Dann setzten wir uns eine Weile auf die Steintreppen am Ufer der Weichsel und sahen den Ausflugsbooten und den bunten Zügen auf der Eisenbahnbrücke zu.
Auf unserem weiteren Weg passierten wir das Chopin-Museum und gelangten dann zum Militärmuseum, dessen Außenanlagen noch geöffnet waren. Wir gingen hinein und staunten über im Freien aufgestelltes Kriegsgerät aller Art. Kleine Propellerflugzeuge, Strahlgetriebene Jagdflugzeuge und Bomber, Panzer, Flakgeschütze, Schiffskanonen, mobile Raketenabschussrampen und allerlei schwere Munition. Die Leute spazierten herum und machten vor den Flugzeugen und Panzern Selfies von sich und den Kindern. Nationen, die keinen Angriffskrieg geführt und verloren haben, scheinen da recht unbefangen zu sein.
Über das Regierungssviertel liefen wir dann zum Hotel, checkten ein, packten aus, streckten ein wenig die Beine aus und gingen dann im Abenddämmerlicht in der Nähe zum Essen.
Das Grand Kredenz konnte die Erwartungen nicht ganz erfüllen, die TripAdvisor und unser Müller-Reiseführer geweckt hatten, aber wir wurden satt und gingen dann zurück ins Hotel. Nach der nächtlichen Zugfahrt und dem ganzen Tag unterwegs waren wir doch recht müde.