Am Nachmittag war über der münchner Innenstadt ein Unwetter niedergegangen und vielleicht kamen davon die S-Bahn-Störungen, die über den Newsticker gemeldet worden waren waren und wegen deren später Ausläufer wir am ottobrunner Bahnhof warteten und uns die wie immer abwegigen Verspätungsmeldungen aus dem Lautsprecher anhören mussten, die so gar nicht mit den Verspätungsanzeigen an den Monitoren übereinstimmten, welche eher moderat waren und viel besser zu unseren Wünschen passten, denn wir hatten zwar großzügig geplant, aber irgendwann würde es dann doch Zeit sein, zum Hauptbahnhof zu gelangen und den Zug zu erreichen, der uns und unsere vollbepackten Fahrräder nach Amsterdam bringen sollte. Aber die S-Bahn kam, wir erreichten noch leicht unseren Zug, verstauten die Räder an ihren reservierten Plätzen, installierten uns selbst auf unseren etwas schmalen und etwas harten Liegen und rauschten fort in die Nacht. Das Geräusch der Ventilatoren übertönte den nur sehr gedämmt hereindringenden Schienenlärm und der kühle Luftstrahl ließ uns Erkältungen fürchten. Wir dösten im Schunkeln und Rütteln der Fahrt und irgendwann müssen wir wohl eingeschlafen sein.
Am Vormittag erreichten wir Amsterdam. Wir beluden unsere Räder, schoben sie auf den Bahnhofsvorplatz, ich schaltete das bereits zuhause anhand der VeloMap Netherlands programmierte Navi ein und war sehr gespannt, wie es uns aus der Stadt hinaus und nach Utrecht führen würde. Es wurde eine interessante Tour. Nach einer etwas abenteuerlichen Platzüberquerung und einem ganz kurzen Stück entlang einer Hauptstraße landeten wir in engen Gassen, in denen sich ein Lokal ans andere reihte, fanden beim Nieuwmarkt Frühstücksgebäck und Kaffee und fuhren dann an Grachten entlang, über Zugbrücken, durch Wohnviertel mit kleinen Häusern und kitschigen Vorgärten und durch aufgeräumt aussehende Großsiedlungen hinaus zu dem hochmodernen Viertel beim Fußballstadion und weiter aufs Land zu weidenden Kühen und Schafen, ländlichen Siedlungen mit kleinen Kanälen und üppigen Hortensienbüschen und schließlich bei Vinkekade auf einen langen Damm über dendiedas Vinkeveensche Plassen, wo die endlos lange gerade Straße links und rechts von zum Teil sehr exklusiv aussehenden Villen gesäumt ist, hinter deren gepflegten Gärten man gelegentlich die weite Wasserfläche erspähen kann. Dann wieder Polder mit Schafen, die sich in der steifen Brise flach an den Boden kauerten und dösten. Schließlich Breukelen. Dann Utrecht.
Man ahnt größere Städte ja von weitem. Die Straßen werden breiter und zahlreicher, Bahnlinien kommen heran, man fährt durch Gewerbegebiete. Das erste Gewerbegebiet, mit dem uns Utrecht empfing, fiel uns zuerst nur durch einen merkwürdigen Stau von Autos auf, die sich durch die Wendeschleife am Ende einer schmalen Straße schoben. Als wir ein Stück weiter den parallelen Radweg entlanggefahren waren, verstanden wir den Grund: den Kanal entlang lagen in endloser Reihe kleine Hausboote mit großen Schaufenstern, in denen Frauen aller Hautfarben und jeglicher Gewichts- und Altersklassen spärlich bekleidet ihre Dienste darboten. In den Autos promenierten potentielle Kunden die Straße entlang. Hin, Wendehammer, zurück, Wendehammer, wieder hin und so fort. Im Weiterfahren begegneten uns einige so auffallend ausstaffierte Radlerinnen, dass wir den Eindruck gewannen, auch die Damen des horizontalen Gewerbes fahren hier, wie sonst auch so viele, mit dem Fiets, dem Fahrrad, zur Arbeit. Bald gelangten wir ins Zentrum von Utrecht, wurden vom Navi in teils überraschenden Windungen hindurch und wieder hinausgeführt und mussten dann etwas im Kreis fahren, bis es uns gelang, den Fehler in der berechneten Route zu überwinden und den Weg nach Bunnik einzuschlagen. Kurz vor dem Ziel nochmal ein paar Missweisungen des nach einem langen Arbeitstag vielleicht schon etwas erschöpften Gerätes, so dass wir fast ins Streiten geraten wären, bis wir am Ende doch noch die idyllisch im Wald gelegene Jugendherberge, das Stayok Hostel erreichten. Wir waren nach Jugenherbergsregeln etwas zu früh dran und mussten etwas vor dem Haus warten, bis wir einchecken durften . Mehrere Gruppen in Schulklassenstärke waren auf dem Gelände. Am Tisch nebenan ein Vater mit Sohn, die auch mit dem Rad gekommen waren. Der Sohn blickte streng und mürrisch, als wäre er zur Strafe da. Schließlich bezogen wir unser Zimmer in einem etwas abgelegenen Haus, richteten uns ein und radelten wieder in die Stadt. Wir gondelten etwas herum, saßen eine Weile auf dem Platz zwischen Universität und Dom und holten uns schließlich bei „Wok to go“ Essen in Pappschachteln, das wir gleich auf einer Bank vor dem Lokal verspeisten. Das Abendbier gab’s dann in der Bar vom Stayok und ungewöhnlich früh lagen wir in den Stockbetten.