Nach der gestrigen Hitze heute ein kühler Regentag. Wir bekamen ein gutes Frühstück, konnten aber mangels Laden keinen Proviant einkaufen. Bald schon brauchten wir unsere Capes, denn es regnete schwach aber anhaltend.
„Biosphärenreservat Niedersächsische Elbaue“ nennt sich die Gegend. Wir ließen den Gartower See aus und fuhren direkt an der Elbe entlang. Nach einigen Kilometern schwenkte der Weg von der Elbe ab und dann ging es auf steiniger Straße so steil bergan, dass wir teilweise schieben mussten. Wir erklommen den Höhbeck, einen Höhenrücken, der sich hier ein ganzes Stück weit im Elbtal erhebt. Oben gab es einen Aussichtsturm und den sehr netten Kaffeegarten Schwedenschanze, wo wir uns für eine Weile niederließen.
Gestern, in der Gegend von Havelberg, hatten wir vor einigen Häusern große rote X-Kreuze aus Holzlatten gesehen und eine Weile darüber gerätselt, bis wir erfuhren, dass die Menschen damit ihre Ablehnung gegen ein Kohlekraftwerk und eine Anlage zur CO-Verpressung in der Altmark zum Ausdruck bringen. Hier, im Wendland, wo gelbe Kreuze in der gleichen Art den Protest gegen weitere Castor-Lieferungen nach Gorleben ausdrücken, fanden wir neben reichlich Infomaterial zu Gorleben auch eine Unterschriftenliste aus der Altmark. Die Wirtin des Kaffegartens erzählte eine Weile über das Leben in der Gegend, die immer menschenleerer werde. Hätten vor der Wiedervereinigung noch Westberliner das Wendland als nahen westdeutschen Freizeit-Stützpunkt genutzt, seien auch sie nach der Wende weggeblieben.
Der Weg hinunter vom Höhbeck nach Vietze war weniger steil und gut befahrbar. Über Meetschow kamen wir nach Gorleben, das ebenso menschenleer und harmlos dalag, wie viele andere Orte in der Gegend und bis auf einige gelbe Kreuze nichts von der Stimmung des Protestes und Aufruhrs an sich hatte, die man im ganzen Land mit diesem Namen verbindet. Wir fuhren südwärts in den Gorlebener Forst, wo sich mitten im lichten Kiefernwald das Brennelemente-Zwischenlager und die Anlagen für die sogenannte Erkundung des Salzstocks als Endlager befinden. Im Zwischenlager landen die umkämpften Castor-Behälter für 30-40 Jahre. Erst dann ist der in ihnen enthaltene Atommüll so weit abgekühlt und abgeklungen, dass er zur Endlagerung konfektioniert werden könnte. Das Verfahren dazu soll in einem Bauwerk neben dem Lager, der sogenannten Pilotkonditionierungsanlage, entwickelt werden. Erst am Ende könnte der Müll in kleineren Behältern endgelagert werden, aber ein Endlager gibt es bislang noch nicht. Die Nutzung der Kernkraft ist also, wie es ein Flugblatt im Kaffeegarten zutreffend beschrieb, ein Flug ohne Landebahn. Niemand weiß noch, was am Ende mit dem Atommüll geschehen wird. Die nächsten drei bis vier Jahrzehnte jedenfalls wird der Müll in den Castoren erst einmal oberirdisch in einer Halle im Gorlebener Forst stehen und abklingen. Gerade in diesen Tagen wird Strahlung nahe dem gesetzlichen Grenzwert gemessen. Kein Wunder, dass sich die Menschen im Wendland wehren.
Wir hatten gelesen, dass ab Mitte August täglich Protestaktionen vor Ort stattfinden sollten, aber an diesem Tag waren wir völlig allein. Eine große Schutzhütte der Protestierenden bot uns Schutz vor dem Regen. Wir machten Brotzeit und lasen die Infos und Plakate an den Anschlagtafeln rund um die Hütte, dann suchten wir wieder den Weg an die Elbe, die wir bei Brandleben erreichten.
Ein Stück flussabwärts kamen wir zur Ruine der alten Eisenbahnbrücke bei Dömitz. 1873 fertiggestellt, erlangte sie nie die Verkehrsbedeutung, die ihr ursprünglich zugedacht war. Zu Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie teilweise zerstört und wegen der Teilung Deutschlands anschließend nicht wieder aufgebaut. Nur der „westdeutsche“ Teil bis zur Elbe steht noch und führt ins Nirgendwo.
Etwas weiter, in Damnatz lockte uns das Hotel Steinhagen gleich hinter dem Deich. Wir bekamen ein nettes Privatzimmer in einem Haus in der Nähe, eigentlich eine kleine Ferienwohnung im ersten Stock mit zwei Zimmern und einem Bad über den Flur, von dem aus man in der Abenddämmerung ein Storchenpaar am Nest beobachten konnte.