Spätnachts, als ich mein Netbook gerade wegpacken, den W-Lan-Bereich in der Lobby verlassen und ohne Bestätigung für unsere nächste Hotelbuchung ins Bett gehen wollte, war die Absage gekommen. Also wurde es nichts aus dem Wagnis, auf über 900 m zu klettern. Wir planten beim Frühstück um und wählten ein weniger ehrgeiziges, wenn auch nicht ganz anspruchsloses Ziel im Süden. Das dortige Hotel wies zwar auf seiner Internet-Seite auch kein freies Zimmer mehr aus, aber telefonisch konnten wir dann doch noch etwas bekommen.
Nach einer kurzen Runde zur Dorfkirche und dem Einkauf von Wasser und Obst bei zwei alten Leutchen im einzigen Laden des Ortes machten wir uns also wieder auf den Weg. Beim ersten Aufstieg bot sich und erneut ein wunderbarer Ausblick auf die Vulkanberge des Cantal, dann auch auf das westlich gelegene Hügelland. Auf den Weiden immer wieder die hier typischen rotbraunen Salers-Kühe mit den langen geschwungenen Hörnern.
Nach einer Weile ging es in kühler Serpentinenabfahrt hinunter an einen Fluss, wo gerade ein Kleinkraftwerk gebaut wurde, dann wieder recht zügig aufwärts. An diesem Tag war alles nur Landschaft. Wenige und nur sehr kleine Ortschaften, kaum Verkehr, bis auf ein kurzes Stück Straße, das auf der Landkarte rot markiert war und auf dem sich entsprechen mehr Verkehr abspielte. Wir kamen aus einer sehr kleinen Straße dort hin, die an einigen einzelnen Bauernhöfen vorbei geführt hatte. Beim letzten Haus hatten uns zwei große Hunde verbellt und dabei die Gartenmauer übersprungen. Danach waren sie uns weiter gefolgt, und rannten mit uns, auch als wir auf die Hauptstraße einbogen. Dort trabten sie wild hin und her und sorgten für einige Verkehrsstörungen. Vor allem bei großen Lastzügen wichen sie nicht aus, sondern liefen ihnen voran und ließen sich auch durch kräftiges Hupen nicht verscheuchen. Als wir die Hauptstraße nach eineinhalb Kilometern wieder verließen, blieben sie bei einen Anwesen halten, kamen dann aber doch wieder im Galopp hinter uns her. Wegen der ansteigenden Straße konnten wir sie auch nicht durch erhöhte Geschwindigkeit abhängen. Erst als sie dann in ein Grundstück mit einer großen Hecke einbogen und dort herumschnüffelten, waren wir sie los.
Es ging dann nochmal bergab, bevor wir Marcolés erreichten. Der letzte Aufstieg zum Ort sollte auf einem Kilometer hundert Höhenmeter betragen und wir waren durch die kurze Strecke sehr früh dran, also machten wir in einem Seitenweg Brotzeitpause und durften dabei drei Jugendlichen zusehen, die sich anschickten, ein kaputtes Moped an einen Motorroller zu binden, um es abzuschleppen. Nach langem Probieren und Verhandeln hatten sie es geschafft. Das Mädchen fuhr den Roller, der Junge führte sein gezogenes Moped hinterher, der dritte bildete die Nachhut.
Wir blieben noch eine Weile und folgten dann ganz langsam nach, den Berg hinauf. Schon am Ortseingang informierte uns ein älterer Monsieur, dass ein Fest bevorstünde. In der Tat war der charmante kleine Ort geschmückt und wie vor drei Tagen in Meyssac wurden überall Karussells, Buden und Bühnen aufgebaut.
Unsere Auberge de la Tour hat einen Treppenaufgang durch einen alten Rundturm aus dem siebzehnten Jahrhundert, mit ganz ausgetretenen Steinstufen. Das Zimmer, das wir bekommen hatten, war riesengroß und hätte auch für fünf Personen gereicht. Nach einer kleinen Ruhepause machten wir uns auf zu einem Rundgang. Überall wurde vorbereitet und alle schienen in Festlaune. Wir streiften durch die malerischen Straßen, in denen es einige Touristenläden mit Kleinkunst gibt, ohne dass der Ort wirklich unter Besucherdruck stünde. Wir schauten uns die Kirche an, in deren Seitenaltären sich viele verschiedene Stilrichtungen treffen und wanderten dann ein Stück weit in eine Allee hinein, die zwischen Viehweiden auf ein Herrenhaus zu führte. In der Ferne brüllte eine Kuh und bemühte sich um ihr offenbar soeben geborenes Kalb, das nicht aufstehen wollte. Es schien sich, so weit wir das von Weitem sehen konnten, einige Male zu bewegen, richtete sich aber nicht auf. Wir gingen im Schutz einer Hecke auf einem Seitenweg näher, konnten aber keine weiteren Einzelheiten sehen und zogen uns wieder zurück, um die Kuh nicht zu stören. Als wir wieder auf dem Hauptweg waren, kam der Bauer mit dem Auto gefahren, brauste über die Wiese, verscheuchte die Kuh und versuchte, das Kalb mit erst vorsichtiger, dann kräftigerer Druckmassage zum Leben zu erwecken, während die Kuh die Szene aufgeregt umkreiste. Anscheinend war alles vergeblich. Schließlich verlud er das Kalb in sein Auto und fuhr weg.
Etwas bedrückt gingen wir zurück in den Ort, setzten uns auf eine Bank und sahen dem vorabendlichen Treiben zu. Hinter uns wurde ein Kinderkarussell herausgeputzt, Musiker kamen und fragten uns nach der Bühne, auf der sie spielen sollten, Schausteller fuhren immer wieder in einem bunt bemalten Auto vorbei, Einheimische und Auswärtige liefen vorüber.
Bis zum Abendessen setzten wir uns vor das Hotel und tranken enzianbitteren Salers (ich) und milderen Avèze (Friederike). Dann ging es zu Tisch. Stellvertretend für die vielen Abendessen, die wir auf diese Fahrt bekommen hatten, sei dieses einmal im Detail beschrieben: Als Amuse Gueule gab es eingangs im Schnapsglas eine nicht weiter erwähnenswerte Crevettencreme. Als Vorspeise folgte ein Block aus einer Zubereitung von kaltem Bleu d’Auvergne, einem Blauschimmelkäse der Gegend. Obenauf ein halbrund geformtes Blatt aus geröstetem Käse, darin fein geschnittenes rohes Gemüse: Blaukraut, Möhren und Blumenkohl. Der Hauptgang bestand aus gebratener Dorade für Friederike und zwei durchgebratenen zylindrischen Rindfleischstücken für mich, dazu im Glas ein mit Butter und Käse aufgeschlagener Kartoffelbrei und etwas gegartes Gemüse, Blumenkohl, Paprika und grüne Bohnen. Danach eine Käseauswahl, einige kleine Stücke, am Tisch nach Wunsch abgeschnitten. Zu allem immer wieder vom Kellner mit einer Vorlegezange nachgereichte kleine hausgemachte Semmeln. Den Abschluss bildete ein Dessert aus einem halben Pfirsich, einem Blatt geröstetem Zucker und einer großen Kugel Pfirsicheis. In dieser Reihenfolge aufgetürmt serviert in einer Schale mit einer Soße, die etwas Rosenwasser zu enthalten schien, passend zu dem gezuckerten Rosenblatt ganz obenauf. Zu allem ein halber Liter einfacher Wein und beliebig viel Leitungswasser aus der Karaffe.
Nicht immer war so viel Zelebration, Schnickschnack und Deko dabei, aber meist war es gut, manchmal ausgezeichnet, nie wirklich schlecht. Das alles zu Preisen von etwa dem Eineinhalbfachen dessen, was wir bei uns für ein Hauptgericht mit Salat und Getränk ausgeben würden. Wenigstens in der von uns bereisten Gegend gibt es noch die berühmte französische Esskultur. Die Portionen sind meist nicht üppig, aber ausreichend. Man merkt den Einfluss der Nouvelle Cuisine.
Zum Ende unsere Mahlzeit nahmen vier Musiker mit Banjo, Klarinette, Akkordeon und Trommel Aufstellung und unterhielten uns mit handgemachter Musik im Stil von Quadro Nuevo. Wir wanderten die Hauptstraße hinunter, in der ein großes Festzelt mit Tischen und Bänken aufgebaut war. Etwas weiter gab es einen großen Grill, wo Muscheln und Würste zubereitet wurden. An einem kleinen Stand gab es Barbe à papa, rosa Zuckerwatte. Als später eine recht gute Band mit einer flotten Sängerin auftrat, wurde getanzt. Wir kauften uns noch ein Bier im Becher und feierten mit, bis wir müde wurden. Vor dem Zu Bett Gehen planten wir noch die letzte Fahrrad-Etappe dieser Reise, nach Aurillac.