Kurze Nacht. Kein Frühstück. Frösteln in der Morgenkühle. Auf dem Weg zum Bahnhof holte Friederike in einer Boulangerie Croissants und Pains au Chocolat. Der Zug stand schon da, es war reichlich Platz für unsere Räder. Außerhalb der Ferienzeit wäre wohl in einem Frühzug um 7:55 Uhr bedeutend mehr los.
Auf der Fahrt durchs Cantal suchten wir wieder bekannte Orte. Thiezac hat offenbar keinen Bahnhof mehr. Vor vielen Jahren waren wir hier mit einem scheppernden Zug zu unserem ersten Wanderurlaub in Frankreich angereist und hatten immer auch die Bahn zur Hin- oder Rückfahrt bei unseren Wanderungen über die Ränder des alten Vulkankraters benutzt. Um diese frühe Morgenzeit lag Tau auf den Wiesen und Nebel in einigen Teilen des Tals.
In Clermont-Ferrand gibt es leider weder Rampen noch Aufzüge, so dass wir Taschen und Räder separat schleppen mussten. Allerdings sind wir inzwischen ein gut eingespieltes Team und schaffen das Rauf und Runter in Rekordzeit, ohne dabei die Kontrolle über die Lenkertaschen mit den Wertsachen, die Räder und das übrige Gepäck zu verlieren. Die Übergangszeit erlaubte es uns, gegenüber dem Bahnhof in Ruhe einen Milchkaffee zu trinken, Wasser und Kekse zu kaufen und eine ganz kurze Runde in der Stadt zu drehen, bevor wir uns im Zug nach Lyon einrichteten. Da gab es wieder Hängevorrichtungen für die Räder, so dass wir alles Gepäck separat verstauen mussten. Außerdem sind die Aufhängungen für niedrigere Fahrräder konstruiert, so dass die Leute immer an den Lenkern und vor allem an unseren Rückspiegeln hängen bleiben. Würden die Konstrukteure solcher Waggons selbst mit dem Fahrrad reisen, gäbe es bestimmt Stellplätze, an denen man beladene Fahrräder sicher abstellen könnte. Schon für ganz normale Koffer ist in vielen modernen Zügen nicht ausreichend Platz. Die Konstrukteure fahren vermutlich im Alltag mit dem Auto und verreisen mit dem Flugzeug. Dort wird an das Gepäck gedacht.
Am Bahnhof in Clermont Ferrand hatten wir erfragt, dass es eine Zugverbindung nach Genf gäbe, die uns drei Stunden Wartezeit ersparen würde. Einziges Handicap: nur achtzehn Minuten Übergangszeit in Lyon. Aber mit den Rampen am dortigen Bahnhof wäre das zu schaffen. Wir räumten also beizeiten unsere Taschen in die Nähe des Ausgangs, nahmen Aufstellung und versuchten, zu raten, auf welche Seite der Bahnsteig sein würde. Gepäck raus auf den Perron, Fahrräder von den Haken, ohne irgendetwas aus den Augen zu verlieren, Fahrräder beladen und zwischen Bahnsteigkante und gedrängten Reisenden fast die ganze Bahnsteiglänge bis zu den Rampen und hinab. An Gleis B keine Rampe, nur ein Aufzug, vor dem viele Leute warteten. Dahinter eine Rolltreppe. Rolltreppe fahren mit beladenen Rädern hatten wir schon. Mit guten Bremsen kein Problem. Oben das bekannte Ratespiel, wo die Fahrradabteile sein würden. Als der Zug kam, stellte sich heraus, dass wir es mit unserem Standort nicht schlecht getroffen hatten. Wir waren die ersten Radler im Zug. Hinter uns kam noch eine Familie aus Luzern, mit zwei Kindern, zwei Rädern, Kinderrad, Kinderanhänger und mords Gepäck. Aber ebenfalls gut organisiert. Alle erstmal rein, dann Plätze reservieren, Gepäck abladen im Getümmel der übrigen Fahrgäste, Gepäck verstauen, hinsetzten, durchatmen, geschafft! Wir hatten einmal Umsteigen in Bellegarde gespart und würden dreieinhalb Stunden eher in Genf sein.
Die Fahrt ging dann auch ganz problemlos. An den Haken baumelten ein Kinderrad und vier teure Fahrräder mit Rohloff-Schaltung. Die Schweizer hatten sogar Zahnriemen-Antrieb statt Kette (bis sie einmal im Winter damit fahren und gefrorener Matsch in den Riemenscheiben festfriert, wie damals bei Pias stolzem Patria-Kinderrad). Wir fuhren durch schöne Landschaft, aßen restliches Baguette und Kekse und freuten uns auf einen netten Abend in Genf. Das Etap-Hotel war leicht gefunden, der Weg bergauf dorthin angesichts des Trainingszustandes, den wir in den letzten Tagen erreicht hatten, auch kein echtes Problem. Wir sicherten unsere Räder vor dem Haus mit der schweren amsterdamer Kette, machten uns frisch und radelten dann in die Innenstadt und dort ein Wenig umher, durch ein paar Straßen mit teuren Lokalen, dann an den See. Wir wechselten fünfzig Schweizer Franken ein, stellten fest, dass die Preise noch höher sind, als in München und landeten nach einigem Suchen zum Abendessen in einer sehr reellen Pizzeria in einem innenstadtnahen Wohnviertel.
Dann radelten wir in der Abenddämmerung die Quais entlang, saßen eine Weile auf einer noch sonnenwarmen Steinmauer in der lauen Abendluft, sahen den Leuten zu, schauten aufs Wasser hinaus und auf die Lichter der Stadt und fuhren am Ende wieder den langen Berg hinauf zum Hotel.