Ein paarmal wurde unser Wagen rangiert und stand länger auf abgelegenen Gleisen herum. Unsere Hoffnung, dass unser wunderbarer Schlafwagen irgendwann doch noch aus dem Dunkel der Nacht auftauchen würde und wir in bequeme Betten umziehen könnten, erfüllte sich nicht. Dafür wurden wir kurz vor drei Uhr nachts zur Grenzkontrolle geweckt. Wir hielten unsere Ausweise bereit und warteten. Nach einer Weile kam der Schaffner und rief nochmal „Police, Passport“ und den Reisenden begann zu dämmern, dass die Kontrolle außerhalb des Zuges stattfinden sollte. Der Schaffner war die Strecke bestimmt schon viele Male gefahren und schien ungläubig darüber zu staunen, dass die Reisenden die Prozeduren dieser Fahrt noch immer nicht kannten.
Wir packten also vorsichtshalber unsere Wertsachen ein, damit sie nicht in dem unbewacht herumstehenden Waggon verloren gingen und begaben uns zu einem nahen Flachbau. Je nach Nationaliät benötigten die Reisenden ein Visum, wozu sie zu einem anderen Flachbau mussten, um dort zu erfahren, dass es 15 Euro in bar kostete. Die borgte ich einem Niederländer, mit dem Pia sich im Zug lange unterhalten hatte. Nach welchen Kriterien die Visapflicht für einzelnen Nationalitäten bestand oder nicht, konnten wir nicht nachvollziehen. Als wir an der Reihe waren und einzeln statt Pässen unsere Personalausweise durch die Öffnung in den dicken Gitterstäben reichten, wurde das nicht beanstandet. Da sich aber Personalausweise nicht stempeln lassen, wie Pässe, bekamen wir den Einreisestempel auf unscheinbaren amtlichen Zettelchen, auf denen sonst nur noch unser jeweiliger Vorname stand. Dann durften wir zurück in den Zug, wo einige der anderen Reisenden noch den Inhalt ihres Gepäcks vorweisen mussten.
Jedem Staat auf der Welt, der dies für nötig hält, sei es gegönnt, seine Grenzen zu sichern und sich gegen unerwünschte Eindrinlinge oder Importe zu wappnen. Ein wenig Respekteinflößung oder anderweitige Darstellung staatlicher Souveränität mag auch zugestanden werden. Aber was wir da mitten in der Nacht irgendwo an einem abgelegenen Grenzort zwischen Bulgarien und Türkei erlebt haben, war – gelinde gesagt – seltsam, liebes Gastland Türkei.
Der kurze Zug ruckelte weiter und als es schon hell war, verkündete der Schaffner, dass in zehn Minuten Istanbul erreicht sei und verlangte rasch das Bettzeug, in das wir uns gehüllt hatten. Unsere Telefone zeigten mit Hilfe von GPS, dass wir noch etwas mehr als 40 km vom Stadtzentrum entfernt waren. Draußen war weitgehend leere Landschaft mit verstreuten Haufen von Plastikmüll.
Der Zug fuhr noch eine ganze Weile weiter. An einer Stelle wurde kurz gehalten, weil die Oberleitung seitlich herabhing und an den Waggons streifte. Die Diesellok zog uns dann langsam weiter bis zu einem winzigen Vorortbahnhof an einer großen Ausfallstraße und da war Schluss. Istanbul! Aussteigen! Ungläubig staunend leisteten wir schließlich Folge und marschierten hinter einem Schaffner her über eine Fußgängerbrücke auf die stark befahrene Schnellstraße zu und, kleine Lücken zwischen den Autos nutzend, hinüber zu einer unscheinbaren Busstation. Dort sollten wir dann nochmal je einen Euro für die Busfahrt löhnen und es nutzte nichts, dass wir auf unsere bereits bezahlte Zugfahrkarte verwiesen. Wir hatten keine Euro-Münzen und der Holländer konnte sich revanchieren, indem er mit Bulgarischen Lew für uns bezahlte. Der erste Bus war überfüllt, der zweite wurde mit uns gut voll und brachte uns schließlich in die Stadt und in Bahnhofsnähe. Von dort aus fanden wir auch schnell unser Hotel und wurden freundlich mit Frühstück bewirtet, bis unsere Zimmer hergerichtet waren.
Nachdem wir eingezogen waren, machten wir einen Rundgang, freuten uns an der Tulpenpracht im Park unter dem Sultanspalast, taten erste Blicke hinaus auf den Bosporus und schauten nach den Besichtigungszeiten der großen Moscheen, die sich in bequemer Laufweite unseres Hotels befinden.
Endlich sind wir im Frühling angekommen und freuen uns nicht nur über die Wärme, sondern auch auf die Begegnung mit orientalischer Kultur und Lebensart, die uns hier erwartet. In beginnender Abendkühle ertönte von allen Seiten der Ruf des Muezzin und wir suchten uns alsbald ein Lokal fürs Abendessen. Unsere erste türkische Mahlzeit hat uns recht gut geschmeckt, auch wenn wir die Rechnung am Ende nicht ganz verstanden haben. Sie war moderat genug, das einmal auf sich beruhen zu lassen.