Die Zugfahrt in dem edlen Abteil war ganz angenehm und ohne Zwischenfälle. Etwas mehr Lüftung hätten wir uns gewünscht. War der Uniformierte nachts noch in vollem Ornat auf dem Flur zu sehen gewesen, so traf man ihn morgens, auf dem Weg zur Katzenwäsche, auch im Schlafanzug an. Nach unseren Pässen hatte zu unserem großen Erstaunen niemand gefragt. Offenbar genügte die Grenzkontrolle in Weißrussland auch für hier. Warum dann zwei Visa?
Zum Frühstück bekamen wir ein großes Glas Tee in einem ziselierten silbernen Halter und sehr pünktlich um viertel vor Acht waren wir in Moskau. Von innen wirkte der Weissrussische Bahnhof ziemlich provinziell, aber als wir hinaustraten, öffnete sich vor uns ein riesiger Platz. Zuerst versuchten wir, einen Geldautomaten zu finden, doch die, zu denen wir kamen, erschienen uns als schäbig und wenig vertrauenserweckend. Dann versuchten wir, mit zwei Tickets von Annas vorjährigem Aufenthalt U-Bahn zu fahren, aber die waren nicht mehr gültig. Also doch zuerst Geld besorgen, um Fahrkarten kaufen zu können.
Wir liefen zu einigen modernen Gebäuden an einer Seite des Platzes und fanden schließlich eine kleine Bank mit einem Geldautomaten im Vorraum. Das erschien uns vertrauenerweckend. Leider lag die Obergrenze für eine Abhebung bei 5000 Rubel, also etwa 87 Euro, und das scheint das Tageslimit zu sein. Wir würden also weiter nach einer Bank suchen und vermehrt mit der Kreditkarte zahlen müssen. Wir wissen zuverlässig nur die PIN von Friederikes EC-Karte. Alle anderen standen verschlüsselt in meinem nun nicht mehr verfügbaren Telefon.
Immerhin genügte der Betrag für die ersten Ausgaben, und so kauften wir Metrotickets und stürzten uns ins Abenteuer der ersten moskauer U-Bahn-Fahrt. Die Tickets enthalten einen RFID-Chip, der mit einer gewissen Anzahl von Fahrten aufgeladen ist. An den Sperren hält man die Karte an ein Lesegerät. So riesig an der Oberfläche die Plätze sind, so lang sind unter der Erde die Gänge zu den Zügen. Beim Umsteigen zwischen den Linien geht es auch mal auf und ab und endlose Korridore entlang, ähnlich wie in Paris. Ohne größere Probleme erreichten wir die Gegend unseres Hotels und nach einigem Suchen fanden wir auch das richtige Haus.
Allerdings waren wir viel zu früh dran und mussten zwei Stunden warten, bis wir unser Zimmer beziehen konnten. Das erwies sich als klein, spartanisch ausgestattet und ein wenig schäbig und stand damit in erheblichem Gegensatz zu unseren bisherigen Unterkünften.
Wir packten aus und dösten eine Weile, dann machten wir uns auf zu einem ersten Rundgang. Die Lage des Hotels macht den Mangel an Komfort einigermaßen wett, denn es liegt wirklich nur ein paar Minuten vom Roten Platz entfernt. Dort hielten wir uns längere Zeit auf und hatten unser Vergnügen mit den Touristen aus aller Herren Ländern, die einander in den seltsamsten Posen vor der Kulisse des Platzes fotografierten. Die war allerdings etwas beeinträchtigt durch eine riesengroße überdachte Bühne, welche die klassische Längsperspektive zur Basiliuskathedrale störte, die man von vielen Fotos her kennt. Vor dem Tor des Kreml sahen wir eine Wachablösung und hatten Gelegenheit, uns Gedanken über Sinn und Bedeutung des Stechschrittes und der rhythmisierten Handhabung von Gewehren zu machen. Beim zackigen Abnehmen des Bajonetts schien sich einer der Abtretenden verletzt zu haben, jedenfalls hielt er sich im Weggehen etwas unsoldatisch die Hand. Den beiden neuen Wächtern richtete noch ein Kamerad Krawatte und Kragen und zog ihnen das Hemd glatt, dann standen sie stocksteif allein zu Seiten des Tores, in dessen Hintergrund ein Drehkreuz aus Edelstahl die Aufgabe der Zugangskontrolle versah, die wohl in historischer Zeit der Daseinsgrund ihrer Vorgänger gewesen sein dürfte.
Wir umrundeten die Basilika, blieben an ihrer Seite etwas sitzen und besichtigten anschließend das riesige Kaufhaus Gum, auf dessen Etagen sich ein internationaler Markenshop an den anderen reiht. Ganz im Kontrast zu den dortigen Preisen kann man in einem Self in der obersten Etage recht preisgünstig essen und dort ließen wir uns zu Kaffee und Imbiss nieder. Die Straßen hinter dem Gum waren zugeparkt mit Limousinen der teuersten Art.
Auf unserem weiteren Weg wurden wir von heftigem Gewitterregen aufgehalten und mussten uns immer wieder unterstellen. Wir liefen zum Hotel und entschlossen uns am Ende, nicht mehr hinaus in den Regen zu gehen, sondern im hauseigenen Restaurant zu essen. Da wurden kleine Portionen durchschnittlichen Essens unenthusiastisch serviert, aber wir wurden immerhin nicht nochmal nass. Im Fernseher liefen in rascher Folge kurze Actionfilme billigster Machart, die alle Genres von Ivanhoe über Kung Fu und Dschungelbuch bis zu James Bond streiften. Und es gab allerlei zu besichtigen. Im Foyer saßen einige sehr junge, sehr overstylede Mädels, während wir aßen wurde neben uns mit stark riechender Möbelpolitur hantiert, einmal kam eine Frau, steckte das Ladekabel ihres Telefons in die Dose neben unserem Tisch und plärrte mir telefonierend auf Russisch ins Ohr. Das Personal war freundlich, aber von nicht gerade einladender Dienstfertigkeit. Wir tranken unser Bier aus und gingen aufs Zimmer. In einer Wohnung gegenüber wurde fröhlich gefeiert und kräftig gesungen, aber nach einer Weile wurde es auch da ruhig.