Das Frühstücksbuffet war etwas weniger vielfältig, als in unseren bisherigen Hotels, und der Kaffee „Amerikano“ floss ziemlich dünn aus dem Automaten.
Wir nahmen die U-Bahn zur Christ-Erlöser-Kathedrale. Sie war 1883 eingeweiht worden, wurde 1931 gesprengt, um einem 415 Meter hohen Palast der Sowjets Platz zu machen, der aber nie entstand, und wurde im Jahr 2000 in einer originalgetreuen Rekonstruieren aus Stahlbeton wieder errichtet. In jüngerer Zeit wurde sie bei uns durch den Protestauftritt von Pussy Riot Anfang 2012 bekannt. Der Innenraum ist voll Prunk und Gold und Malerei, sehr prächtig gestaltet.
Wir querten die Brücke bei der Kirche, von der sich interessante Ausblicke auf die Stadt boten, fanden ein kleines Ensemble altertümlicher Gebäude, die sich zwischen den modernen Bauten duckten, umrundeten einen kolossalen Wohnkomplex, in dem die Nomenklatura der Stalinzeit hauste, sahen aus verschiedenen Perspektiven die ziemlich unglaubliche, gigantische Statue von Zar Peter dem Großen samt riesigem Segelschiff in einer Gabelung des Flusses, und landeten schließlich im Skulpturenpark, wo teils neue, teils nicht mehr erwünschte oder nicht mehr benötigte Denkmäler aufgestellt sind. Da findet man Marx und Lenin und Breschnew und neben all den staatstragenden und heroischen Standbildern auch viele künstlerische, nette oder verspielte Skulpturen.
In der Nähe des Flussufers gab es einen großen Brunnen mit zahlreichen senkrecht aufsteigenden Wasserstrahlen, die mal höher, mal niedriger wurden. Zwischen ihnen tobten und balgten sich Kinder und Jugendliche, die dabei natürlich patschnass wurden, aber das Wetter war warm und oft schien die Sonne. Vor dem etwas klotzigen Ausstellungsbau der Tretjakov-Galerie gab es Markthallen, wo Künstler und Kunsthandwerker ihre Sachen verkauften. Auch allerlei Trödel wurde gehandelt.
Wir unterquerten eine breite Straße, durch eine Unterführung in deren Kioskreihen ebenfalls Kunst gehandelt wird, und kamen zum Gorki-Park, hinter dessen gigantischem Säulenportal eine wildfröhliche Schaumparty im Gang war. Vor einer Bühne, auf der zwei Schaumkanonen standen, amüsierte sich die jüngere Generation in einem tiefen Schaumteppich. Auf der anderen Seite der Bühne plantschten und schwammen einige Jugendliche in einem großen Brunnenbecken. Anders als überall sonst war hier kein Aufsichtspersonal zu sehen.
In dem großen Vergnügungspark herrschte reges, ausgelassenes Leben. An verschiedenen Stellen gab es Popmusik in beachtlicher Lautstärke. Promotion-Aktionen von Red Bull, Puma, Reebok boten verschiedene sportliche Attraktionen und es gab zahlreiches buntes Volk anzuschauen. Moskau zeigte sich an diesem Tag von einer überaus farbenfrohen, lauten und fröhlichen Seite.
Wir überquerten den Fluss auf einer überdachten Fußgängerbrücke und gingen am anderen Flussufer zurück. Da erstreckte sich zunächst ein riesiges, militärisch bewachtes Gebäude. Seinem Haupteingang gegenüber lag am Flussufer ein mehrstöckiges, dunkel verglastes, schwimendes Bauwerk mit einem Hubschrauberlandeplatz oben drauf und einer Anlegestelle, in der ein großes, von zwei gewaltigen Luftschrauben getriebenes Schnellboot lag. Die Stadt ist voll von Vorkehrungen, um der Obrigkeit das rasche, geschützte Kommen und Gehen zu ermöglichen. Man sieht auch immer wieder Konvois schwarzer Limousinen und Vans, die von Fahrzeugen mit Blaulicht eskortiert werden, einzelne schwarze Zivilfahrzeuge mit aufgesetztem Blaulicht und an einigen Stellen der Stadt gibt es durch Gitter und Schranken geschützte Bereiche und Fahrtwege.
Die riesige Stadt wirkt sauber, aufgeräumt und sicher. Überall steht Wachpersonal. In Supermärkten, vor Banken, an Baustellen. An vielen Stellen sind Polizeiautos postiert. In U-Bahnhöfen gibt es sogar Wächter mit Metalldetektoren und Geräte zum verdachtsweisen Durchleuchten von Gepäckstücken. Und immer wieder sieht man Straßenkehrerinnen, Menschen, die Müllkübel leeren, Kehrmaschinen und Formationen von Reinigungswagen, die mit scharfen Wasserstrahlen die breiten Fahrstraßen säubern.
Auch das untere Tor des Kreml, dem wir uns bei beginnender Abenddämmerung vom Fluss her näherten, war natürlich strengstens geschützt und bewacht. Außen, entlang der Kremlmauer allerdings herrschte buntes Flanieren. In den blühenden Büschen steckten überall Frauen, die sich in allen Posen vor Blütenzweigen fotografieren ließen oder sich selbst fotografierten. Wie überhaupt allenthalben geknipst wurde. Für Geld konnte man zahme Tauben auf die Hand nehmen, mit einem lebenden Plüschbären posieren oder mit einem in ein altertümliches Brokatgewand gekleideten Afrikaner. Mehrmals wurde ich gebeten, Leute mit ihren eigenen Apparaten abzulichten. Zwischen den Spaziergängern kamen uns in Gruppen zahlreiche Bauarbeiter entgegen, die jetzt am Abend von der Arbeit zurückkehrten.
Wir schauten dem bunten Treiben noch eine Weile zu und gingen dann ins von Lichterketten bekränzte Kaufhaus Gum, erstens, um Geld zu holen, zweitens, um in dem vortags entdeckten Selbstbedienungsrestaurant essen zu gehen. Praktisch daran ist, dass man Speisen und Preise sieht und sich seine Mahlzeit nach Belieben selbst zusammenstellen kann. Später saßen wir noch am hell erleuchteten Roten Platz mit den angestrahlten Gebäuden, dann in dem Park an der Kremlmauer, wo noch immer viele Menschen unterwegs waren und einige Nachtigallen unermüdlich sangen.
Auf die klassizistische Säulenfassade der „Manege“ wurden der Fassadenstruktur geschickt angepasste Videopräsentationen projiziert, die mit Sprache und lauter Musik untermalt waren. Zum Teil waren es märchenhafte Szenen, größtenteils aber die propagandistisch aufgemachte Geschichte des russischen Volkes, einschließlich des Sieges über Hitlerdeutschland und bis hin zur Raumfahrt und den Olympischen Spielen. Stalin war ausgespart.
Wir genossen noch eine Weile den lauen Abend im Park und machten uns gegen Mitternacht auf den Weg ins Hotel. Auf den breiten Straßen war noch immer reger Verkehr.