In München war es in der letzten Zeit kalt gewesen, mit Nachtfrost und Tagen, die zwar sonnig, aber doch recht kühl waren. Und da der FlixBus, den wir für die Fahrt nach Lyon gebucht hatten, erst zu finsterer Stunde, um neun Uhr abends, abfahren sollte, gab es allerhand Gründe, nicht in die Stadt zum Omnibusbahnhof zu radeln, sondern die S-Bahn zu nehmen. Wir planten wie üblich großzügig Zeit ein, um für alle verkehrstechnischen Eventualitäten gewappnet zu sein, aber die Fahrt lief glatt. Nur in der Innenstadt fuhr kurze Zeit eine bucklige Person mit, die so gewaltig nach Exkrementen stank, dass schnell der ganze Wagen davon erfüllt war und man hätte fliehen mögen. Wir hielten Stand, denn wir wollten ja verreisen.
An der Station hatten wir also reichlich Zeit, unsere Fahrradtaschen in die großen Kunststofftaschen umzupacken, die Friederike vor einigen Tagen bei einem Türken im Bahnhofsviertel erstanden hatte, denn deren Packmaß entsprach den Vorgaben von FlixBus und wir konnten unser Reisegepäck auf zwei Stück pro Person reduzieren, indem wir je zwei oder drei Taschen zusammenpackten. Als wir damit fertig waren, standen wir herum und guckten dem Treiben an dem Terminal zu.
Mit wachsendem Erstaunen sahen wir bei einigen ankommenden Bussen, dass sie Fahrräder auf offenen Heckständern transportierten. So hatten wir uns das nicht vorgestellt, denn auf den Autobahnen etwarteten wir noch das Streusalz der letzten Wintertage. Noch viel weniger waren wir allerdings darauf gefasst, wie unsere eigenen Räder dann schließlich transportiert wurden. Unser Bus besaß überhaupt keine Vorrichtung zum Fahrradtransport und so packten die beiden Chauffeure unsere Räder nach einigem Beratschlagen aufeinander liegend in den Gepäckraum unten im Bus und wir versuchten, sie ein wenig mit unseren Taschen zu polstern.
Bis wir diese Prozedur erledigt hatten, waren wir beim Einsteigen ins Hintertreffen geraten, denn die Leute hatten sich schon einzeln auf die Sitze verteilt. Friederike schaffte es, einen Mann zum Platzwechsel zu überreden, so dass wir nebeneinander sitzen konnten. So fuhren wir los, nicht ohne eine gewisse Sorge, wie unsere Räder den rüden Transport überstehen würden.
Die Fahrt ging zügig dahin. Einmal gab es eine kurze Pause bei einer kleinen Tankstelle. Gegen zwei Uhr waren wir in Zürich, um fünf Uhr in Lausanne, um sechs in Genf. Danach kam eine sehr aufwendige Grenzkontrolle mit Fragen nach woher und wohin. Wir zeigten unsere deutschen Personalausweise und blieben weiter unbehelligt. Drei Leute mussten raus und ihr Gepäck kontrollieren lassen. So war es kurz vor Sieben, als wir endlich freie Fahrt nach Frankreich hatten.
Als wir in Lyon ankamen, war es hell geworden, aber kühl geblieben. Wir holten vorsichtig unsere Räder aus dem Bauch des Busses, fanden sie zum Glück äußerlich unversehrt, und behängten sie mit unsen Taschen, während gleich nebenan fünf martialisch aussehende Polizisten einen dunkelhäutigen Mitreisenden kontrollierten und filzten.
Draußen war es zuerst kühl und nieselig. Wir suchten Frühstück und schafften es in Bahnhofsnähe nicht, eine Boulangerie zu finden, wo wir unter Dach draußen bei unseren Rädern sitzen und doch ordentlichen Kaffee trinken konnten. Schließlich endeten wir bei frischem Pain au Chocolat mit üblem Automatenkaffee aus dem Plastikbecher. Kein guter kulinarischer Einstand, aber zum Glück sollte es besser werden.
Da wir unser gebuchtes Appartement, das Studio Grange-Blanche, erst am späten Nachmittag beziehen konnten, hatten wir reichlich Zeit, uns die Stadt schon einmal etwas anzuschauen. Unser erstes Ziel war Confluance, ein neues Stadtviertel auf der Landspitze zwischen den Flüssen Rhone und Saone. Man sah noch ein paar Reste von alten Fabrikhallen, aber dazwischen ragten hypermoderne große Gebäude in eigenwilligen Architekturen empor. Nicht alles, was da entstanden war, überzeugte. Manches wirkte einfach gequält originell und kaum zweckmäßig, wie etwa das riesige Museum an der Landspitze, das mit seinen schief und schräg in den Raum ragenden Oberflächen mehr an militärische Stealth-Techniken erinnert, als an freundliche und zweckmäßige Architektur,
Wir gondelten weiter hin und her durch die Stadt, besuchten einige Kirchen und Plätze, genossen unter großen Schirmen vor dem Cafe einer Hochschule belegte Baguettes und ordentlichen Kaffee, suchten schon einmal nach einem passenden Restaurant für den Abend und fuhren dann die gut sieben Kilometer hinaus zu unserem Appartement. Es gelang uns, das Codeschloss der äußeren Pforte zu öffnen und in einen schmalen Hof zu gelangen, wo sich hinter einer blechernen Haustür der Eingang zu unserer Behausung fand. An deren innerer Tür gab es ein Kästchen, das wir mit einem weiteren Code öffnen konnten, um an den darin verborgenen Schlüssel zu kommen. Auf unserem Weg durch die Stadt hatten wir zwei Etablissements für Escape-Games gesehen, das hier war sozusagen das Gegenteil, wir wollten rein, nicht raus. Nach Lösen aller Aufgaben durften wir in unser etwas karges aber akzeptables Appartement.
Wir nutzten das weiche Bett für einen kleinen Spätnachmittagsschlaf, den wir nach der nächtlichen Busreise dringend nötig hatten. Dann fuhren wir, nun ohne Gepäck, zurück in die Altstadt. Lyon verfügt über ein recht gut ausgebautes Netz von Radwegen. Nicht immer ganz übersichtlich, bisweilen etwas improvisiert wirkend, aber durchaus tauglich, zumal OpenStreetMap auf meinem Telefon sie alle kannte, samt Einbahn-Regelungen, und uns sicher von Ort zu Ort führte. Unterwegs fanden wir einen kleinen Supermarkt, wo Friederike uns Bier und Wein für den Schlaftrunk kaufte. Für das Abendessen hatte sie Le Bistrot de Lyon in der Rue Mersiere ausgesucht. Eine absolut gute Wahl. In dem altmodischen und durchaus originellen Ambiente wurde ausgezeichnetes Essen serviert. Friederike bekam ein Kartoffelgratin mit verschiedenen Gemüsen, ich ein wunderbar erfrischend mit eingelegten Gurken und anderen Gewürzen angemachtes grob gehacktes Tartar. Dazu bei beiden Salat und gemeinsam eine Karaffe Cotes du Rhone. So verköstigt fuhren wir zurück hinaus zu unserem Appartement, holten die Räder herein und fielen alsbald in wohlverdienten Schlaf.