Auf stressfreien Wegen zu einer alten münchener Attraktion. Gesamtstrecke 25 km.
Drei mal im Jahr ist Auer Dult am Maria-Hilf-Platz in München und wenn es das Wetter zulässt, fahren wir mit dem Fahrrad hin. Auf der Ottobrunner Mozartstraße gelangen wir nach Neubiberg, schwenken am Ende auf den Weg entlang der Bahn, passieren den Bahnübergang, wechseln auf den Neubiberger Bahnhofsparkplatz und radeln geradeaus bis zum Jugendtreff „Gleis 3“, wo wir gut auf Scherben am Boden Acht geben, damit unser Ausflug nicht schon hier mit einer Panne endet.
Wenn wir das Gebäude umrundet haben, sehen wir auf der anderen Straßenseite den Eingang zum Neubiberger Umweltgarten. Aber Achtung, die Überquerung der Äußeren Hauptstraße ist an dieser Stelle nicht ganz ungefährlich. Im Umweltgarten fahren wir ebenfalls vorsichtig, denn gerade das Kleintiergehege, an dem wir nach rechts abbiegen, ist ein beliebtes Ausflugsziel für Familien mit Kindern, die gerade laufen lernen. Weiter geht es auf dem Hauptweg und bald gelangen wir zur Ampel an der Carl-Wery-Straße, die wir geradeaus überqueren.
Entlang an Sportplatz und Bundeswehr-Uni halten wir uns auf der Zwergerstraße, kommen durch Oberbiberg und schließlich zur Unterhachinger Straße, die wir mit etwas Vorsicht ebenfalls geradeaus überqueren. Nach der Autobahnunterführung sehen wir links die Bürohäuser des Campeon, bleiben aber auf der Zwergerstraße und unterqueren die Bahnlinie. Ein kurzes Stück weiter biegen wir nach rechts in den Sperberweg und fahren zum alten Bahnhof Fasangarten. Auf der Fasangartenstraße kurz nach links, dann rechts in die Marklandstraße. Die weiträumige und großzügig angelegte Siedlung, durch die wir hier fahren, wurde um die Zeit meiner Geburt für die in München stationierten amerikanischen Besatzungssoldaten erbaut. Aber die sind längst fort.
Wo die Pennstraße mündet, führt etwas nach links versetzt ein Weg in den Park. Den nehmen wir, queren die Cincinnatistraße und kommen an der Lincolnstraße zum Friedhof am Perlacher Forst. Als Kind besuchte ich dort oft zusammen mit Eltern und Großeltern die Gräber von Angehörigen, lauschte am Volkstrauertag auf dem von Flammenschalen tragenden Pylonen umgebenen Hauptplatz den Bläserklängen von „Ich hatt‘ einen Kameraden“, hörte von den Toten des Krieges erzählen, der damals, Ende der 1950er Jahre auch den Lebenden noch tief in den Knochen saß, und besuchte mit meinem Großvater, dem pensionierten oberschlesischen Schulmeister, die große Halle, wo hinter Schaufensterscheiben die Leichen fremder Verstorbener aufgebahrt lagen. Wie es sich für einen guten Lehrer gehört, hat er mir da ohne viele Worte durch persönliches Beispiel seine respektvoll ernste aber doch irgendwie akzeptierende und in gewisser Weise sogar neugierige Haltung gegenüber dem Phänomen des Todes vermittelt. Wo immer ich heute reise, suche ich neben allem anderen immer auch gerne die Friedhöfe auf, denn wie die Menschen mit dem unerklärlichen Tod umgehen, erzählt sehr viel über ihr Leben. Gleich hinter der Totenhalle ragten schon damals die strengen Mauern der Justizvollzugsanstalt Stadelheim auf und diese Nachbarschaft von Friedhof und Gefängnis beeindruckte mich als Kind auf eine seltsame Weise, ohne dass ich damals gewusst hätte, dass in Stadelheim zu düsteren Zeiten auch zahlreiche politische Dissidenten vom Leben zum Tod gebracht worden waren.
Wir fahren nach rechts und gleich nach der Friedhofsmauer wieder nach links. Wo der Weg auf die Straße stößt, überqueren wir diese, dann geht es nach links zur Kreuzung und immer geradeaus weiter auf dem Radweg an der Schwanseestraße. Ab dem Giesinger Bahnhof heisst sie Schlierseestraße und auf dem letzten Stück vor dem Ostfriedhof wird sie zur Eintrachtstraße. Links abbiegend fahren wir dann an der Backsteinmauer des Ostfriedhofs entlang. Die Grünfläche zwischen den beiden Baumreihen war früher Wartefläche für die Verstärkerzüge der Straßenbahn, die zu den Totengedenktagen des Jahres, aber auch zu besonderen traditionellen münchener Festlichkeiten besonders stark frequentiert war, denn diese Trambahn war seit je her nicht nur die Friedhofslinie, sondern auch Dult und Nockherberg lagen an ihrem Verlauf, also zwei ganz besondere Vergnügungsstätten der Münchener. Geradeaus über die Kreuzung und schon sind wir am Nockherberg. Vorsicht, denn manche der Autofahrer, die von der gleichnamigen Starkbierstätte kommen, sind vielleicht nicht mehr ganz reaktionssicher. Außerdem geht es steil den Berg hinab und wir dürfen unten die Auffahrt zum Radweg nicht verfehlen, denn schon vor dem ersten Gebäude am Ende des Hanges wollen wir rechts auf den kleinen Weg „Am Neudeck“ einbiegen. Der Bau, an dem wir dann neben dem Auer Mühlbach entlang fahren, war bis vor wenigen Jahren Frauen- und Jugendgefängnis. Am Ende biegen wir links ab und riechen schon die Auer Dult. Hier können wir in Sichtweite der Polizeistation beruhigt unsere Räder abstellen.
Die Auer Dult ist ein Muß für echte „Münchner Kindl“, also für Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind oder die sich dieser Stadt so zugehörig fühlen, als wären sie schon immer da. Der Tourismus hat die Dult zum Glück nie so richtig entdeckt und vielleicht wäre es auch für weit gereiste Besucher aus fernen Ländern eher langweilig, diesen etwas altertümlichen Jahrmarkt zu besuchen, der keinerlei weltbewegende Sensationen bietet, dafür aber umso mehr Vorstadt-Lokalkolorit und eben – für die hier Geborenen – Kindheitserinnerungen auf Schritt und Tritt.
Wer, anders als wir, traditionsgemäß mit der Trambahn anreist, kommt zuerst an ein paar Standln vorbei, die in ihrer Abfolge schon einmal einen Vorgeschmack aufs Ganze geben: Brezen, Fischsemmeln, Süßigkeiten, Kleider, ein Seifenblasen-Verkäufer und an der Ecke zum eigentlichen Dult-Gelände ein Leierkastenmann. So ist, wer den Platz erreicht, schon wunderbar eingestimmt durch den Duft von Imbiss und gebrannten Mandeln, die bunten Farben und den Klang der Oldies aus dem hölzernen Kasten.
Unser traditioneller Rundgang begann so seit je her immer bei den „Schreihälsen“, wie sie meine schlesische Großmutter humorvoll nannte, also bei der langen Budengasse, in der die Neuheitenverkäufer mit lauter Stimme und den unvermeidlich-altbekannten Witzen Gemüsehobel anpreisen, Zauber-Putztücher, Reinigungsmittel, Fußbalsam, Wunderpfannen, Autopolitur, Rohrreinigungsapparate, praktische Haushaltshelfer, nie stumpf werdende Messer und die neuesten Schärfgeräte. Wie auf dem ganzen Markt haben auch hier die Händler Jahr um Jahr den gleichen Standplatz, und wenn es einmal einen Wechsel gibt, spürt man als Einheimischer sofort die Lücke, bis man sich nach einigen Jahren an das neue Angebot gewöhnt hat. Am Ende der Neuheitengasse kommt ein Standl mit Kräuterbonbons und hier beginnt unser Rundgang, wenn wir, wie geschildert, mit dem Rad anreisen.
Indem wir auf den Backsteinbau der Mariahilf-Kirche zugehen, sehen wir nochmal Zauberpfannen und gesundheitliche Wundermittel, dann eine wahrhaftige Hosenträger-Näherei, wo man sich nach Maß und eigenem Geschmack ausstatten lassen kann und laufen schließlich direkt auf den Billigen Jakob zu, eine der immerwährenden Sensationen der Dult. Das folgende Video zeigt ihn auf der Fürther Kirchweih, aber das macht kaum einen Unterschied:
Das ist politisch nicht immer ganz korrekt und manchmal auch ein Wenig reaktionär, aber man merkt, der Mann beherrscht sein Handwerk. Der Jakob kauft in großem Stil Restbestände und Konkursware auf und preist sie auf eine Weise an, die ihm ein treues Publikum sichert. Die Qualität seiner Feinstrumpfhosen zeigt er z.B., indem er sie ungeheuer in die Länge zieht und dann, begleitet von anzüglichen Sprüchen, von innen mit einer Drahtbürste bearbeitet. Sie bleiben natürlich unversehrt und dann heisst es: „Mutti, die geb‘ ich Dir für zwanzig Euro, und dann leg‘ ich noch eine drauf und dann kostet es immer noch zwanzig Euro und dann gebe ich dir für das gleiche Geld nochmal so viel und dann lege ich noch eine dazu und dann zahlst Du dafür heute keine zwanzig Euro, und auch keine fünfzehn, sondern hier sind fünf Strumpfhosen für zehn Euro zum ersten, zum zweiten und zum dritten.“ Und die Leute fühlen sich beinahe beschenkt, kaufen begeistert und Jakobs großer Holzkasten füllt sich mit Geld.
Nebenan gibt es einen großen Stand mit Korbwaren. Dann kommen allerlei Küchengeräte, Geschirr und Porzellan, etwas weiter der Stand, an dem wir uns seit vielen Jahren mit Teekräutern und Gewürzen versorgen und gleich gegenüber Besen und Bürsten in den erstaunlichsten Formen. Ein großer Bereich ist gebrauchten Büchern, Antiquitäten und Trödel gewidmet. Als Musik noch in Vinyl gepresst wurde, konnte man sich hier auch zu moderaten Preisen mit Schallplatten aus recht aktueller Produktion eindecken. Auf der Hülle stand nicht selten „Promotion – Nor For Sale“.
Nahe dem Portal der Mariahilf-Kirche in der Mitte des Platzes gibt es schöne Töpferwaren und nochmal Haushaltsartikel und auf der anderen Seite der Kirche dann den „Vergnügungsbereich“ mit einem kleinen Kinderkarussell, dem von Vorstadtjugendlichen umlagerten Autoscooter, einem uralten Riesenrad, Schieß- und Wurfbuden, einem traditionellen Kasperltheater und einem wechselnden „modernen“ Fahrgeschäft. Wenn hier das Wellenflug-Kettenkarussell Station macht, riskieren wir bisweilen eine Fahrt. Wem dabei nicht schwindelig wird, der kann es gegenüber in dem kleinen Bierzelt versuchen.
Auf dieser Seite endet der Festplatz an der Gebsattelstraße, die wie der Nockherberg vom Isarhochufer herunterkommt. Einmal im Jahr findet hier ein sehr nettes traditionelles Seifenkistenrennen statt, bei dem Kinder jeden Alters in zum Teil sehr bemerkenswerten Selbstbaugefährten die Straße hinabsausen.
Unbedingt erwähnenswert sind noch die weithin duftende Steckerlfischstation und ein großer Stand, bei dem man fasziniert die Herstellung schmackhaften Schmalzgebäcks beobachten kann. Die letzte Gasse unseres Rundgangs schließlich führt parallel der Straße zurück zum Ausgangspunkt beim Leierkastenmann. Hier gibt es nochmal Kleider, Schmankerl, etwas Schmuck und Kunsthandwerk und selten entgehen wir der Versuchung, eine Tüte gebrannte Mandeln und ein Päckchen Lakritzschnecken (bayerisch: Bärendreck) als kulinarische Erinnerung auch für die Daheimgebliebenen mitzunehmen. Wer sich bei den vielen Leckereien klebrige Finger geholt hat, findet am Ende dieser Gasse einen Wasserhahn zum Händewaschen. Hier endet unser Rundgang. Wir gehen zu unseren Fahrrädern, beladen die Packtaschen mit allem, was wir eingekauft haben, erklimmen den Nockherberg und fahren auf dem gleichen Weg zurück, den wir gekommen sind.
Kartenbasis: Open Street Map GPS-Track (GPX)