28. Mai 2015 – Minsk

Die Nacht war angenehm, nur die Besucher des gegenüberliegenden Kinos machten nach dem Ende der Vorstellung etwas Lärm und irgendwann zog auch einmal ein Krakeeler vorbei. Sonst war Ruhe, bis kurz nach Sechs der Tagesverkehr begann.

Das Frühstücksbuffet war süß und herzhaft reichlich bestückt und die Bedienung an einem Pult in der Ecke wachte nicht über Benehmen und Grenzen des Verzehrs, wie es nach ihrem Habitus den Anschein haben konnte, sondern sie trug neu auf, was immer zur Neige zu gehen drohte. Zwei Italiener waren da, und ein überaus dicker junger Mann, der hörbar kurzatmig schnaufte, als er zum Buffet schlurfte, um sich ein weiteres Mal aufzutun.

Wir packten, stellten unsere Rucksäcke in eine Kammer neben der Rezeption, wo Tag und Nacht ein Sicherheitsmann vor den Monitoren der Videoüberwachung zu sitzen schien, und gingen hinaus.

Veteranen

Unser erster Weg führte zur Touristeninformation, um ein paar Auskünfte einzuholen. Dann überquerten wir eine kleine Brücke zu einem Park. Am Wasser saßen einige Angler und den Uferweg entlang kam uns ein kleiner Trupp Männer entgegen, die eine flatternde rote Fahne und Plastiktüten mit gefüllten Flaschen mit sich führten. Sie versammelten sich im Schutz einiger Bäume und Sträucher, wie vortags die jugedlichen Zündler. Viele von ihnen trugen Uniformmützen oder andere Teile militärischer Kleidung, zum Teil auch mit Orden geschmückt. Sie fotografierten einander in verschiedenen Posen. Während wir weitergingen, kamen uns immer wieder Gruppen mit gut gefüllten Tüten entgegen und aus dem Gebüsch ertönte alsbald Skandieren, Fußball-Schlachtrufen durchaus vergleichbar.

Ein Trupp Uniformierter mit den hier üblichen übergroßen Militärhüten querte in geordnetem Zug das Brücklein zur Afghanistan-Gedenkstätte und am Ende des Weges kam uns ein fröhlicher junger Veteran entgegen, sprach uns in gebrochenem Französisch an, konnte aber auf die Frage nach dem Anlass von allem nur hervorbringen, dass heute reichlich Wodka getrunken würde. Dies fanden wir bei weiteren Begegnungen mit Männertrupps im Laufe des Tages zunehmend bestätigt.

Minsk - Nationalbibliothek

Wir erwarben U-Bahn-Tokens und fuhren ziemlich weit hinaus zum spektakulären Neubau der Weissrussischen Nationalbibliothek. Dort gibt es im 23. Stockwerk eine Aussichtplattform, wo wir, umwuselt von lärmenden Schulklassen, einen weiten Blick über die Hochhäuser der Stadt tun konnten, von denen emsige Baukräne immer noch neue errichten.

Minsk - Neubaugebiet

Auf der der Bibliothek gegenüberliegenden Seite der breiten Straße erstreckt sich eine lange Reihe längs und senkrecht abgeordneter breiter und vielgeschoßiger Wohnscheiben. An den der Straße zugewandten Schmalseiten hat der sozialistische Realismus riesige symmetrische Fresken hinterlassen, welche Familie, Landwirtschaft, Handwerk, Industrie, Raumfahrt und andere Errungenschaften des Neuen Menschen preisen. Dahinter wird es etwas schäbiger, die Häuser haben codeschlossgesicherte Eisentüren, und dort suchten wir nach der Gedächtniskirche aller Heiligen, deren weißen Bau mit den goldenen Kuppeln wir von oben bereits gesehen hatten.

Minsk - Kathedrale

Auf dem weiträumigen Gelände stehen nebeneinander eine kleinere Kirche, ganz aus Holzstämmen errichtet, und die große weiße Kirche mit den goldenen Kuppeln. Dazwischen gab es eine überlebensgroße Moses-Statue mit goldenen Gesetztestafeln und einem Stab, an dessen Ende Wasser aus einem Felsen sprudeln und einen Brunnen speisen sollte. Das war versiegt und wohl deshalb buddelten einige Arbeiter hinter dem Standbild mit Schhaufeln ein großes und tiefes Loch in den Sand.

Die große Kirche fanden wir versperrt, in der kleinen gab es eine größere Zahl von Ikonen und Ständer für Opferkerzen, einen kleinen Devotionalienstand, etliche Beterinnen und Beter und eine Anzahl von Frauen mit Kopftüchern, die verschiedene Dienste an den Heiligtümern versahen. Wir gingen zurück zur U-Bahn-Station und fuhren zur Siegessäule, einem riesigen Obelisken inmitten eines stark befahrenen vielspurigen Kreisvekehrs.

In der Nähe das große Tor zu einem Park mit einem riesigen Denkmal des auf einer Bank sitzenden Gorki, davor einige Verkaufsstände mit Tand und Süßigkeiten, auch ein paar Autochen für Kinder, vor allem aber ein großer Promotion-Stand von Coka Cola, wo sich eine lange Schlange von Jugendlichen gebildet hatte, um kostenlos eine Dose von dem Getränk zu bekommen. Das Ritual dazu war etwas kompliziert, um die Spannung zu erhöhen und so ging es langsam voran. Die Jugend von Minsk steht an für Amibrause. Wenn das die Alten gewusst hätten.

Minsk - Gorki Park

Wir setzten uns noch zum Tee in ein Lokal, wo R&B und Lounge-Musik gespielt und in einem Nebenraum Shisha geraucht wurde. Wir hatten beschlossen, wieder beim Hotel zu Abend zu essen, weil da auch unser Gepäck war und weil wir da am Vorabend recht gut bedient worden waren. Ich wollte noch die WLAN-Verbindung nutzen, da startete plötzlich mein Telefon neu, wieder und wieder und ließ sich nicht mehr in Betrieb nehmen. Totalausfall von Kommunikation, Navigation, Adressen, Pins und Passwörtern für den Rest der Reise. Zum Glück bot Friederikes Gerät einen gewissen Ersatz.

Wir machten uns frühzeitig auf den Weg zum Bahnhof, kamen dort dann aber doch noch beinahe in Zeitnot, weil wir bei belebtem Tagesbetrieb den Weg durch die unterirdischen Flure nicht mehr fanden, die wir bei unserer nächtlichen Ankunft gegangen waren. Ein Wachmann schleuste uns schließlich durch eine Sperre, so dass wir hinunter in die U-Bahn-Station gehen und am anderen Ende im Bahnhof wieder aufsteigen konnten. Dann wurde es spannend, denn auf Gleis 1 stand ein Schlafwagenzug zur sofortigen Abfahrt, während unser Ticket eine etwas spätere Zeit angab, zu der allerdings auf der Abfahrtstafel kein Zug zu finden war.

Die Stewardessen des Zuges auf Gleis 1 sprachen wie immer keine Fremdsprachen und erst nach einer Weile half eine Reisende mit ein paar Wörtern Englisch aus. Tatsächlich war unser Zug zwei Bahnsteige weiter angezeigt und kam auch pünktlich. Wir bezogen wieder ein Zweierabteil im komfortablen Schlafwagen und richteten uns ein für die Nacht. Im Nebenabteil residierte ein stattlicher Uniformträger, der wohl für unsere Bewachung und unsere Sicherheit zugleich zuständig war. Der Zug rollte fort Richtung Moskau.