Das neue Zimmer war etwas größer, aber anstelle des Kompressors lärmten nun nachts die Bauarbeiten an einem Nachbarhaus. Die Arbeiter wirkten nicht besonders schnell, dafür machten sie durch. Beim Duschen verschwand ein Teil des Wassers zwischen Wanne und Wand und trat dann vorne unter der Wanne wieder zutage, so dass das Bad bald unter Wasser stand. Zum Frühstück probierten wir heute mal die angebotene Buchweizengrütze. Irgendeine Sauce dazu wäre nett gewesen.
Als wir in der Metro waren und uns am Bahnsteig fragten, welches nun das richtige Gleis sei, fiel uns auf, dass wir unseren Reiseführer im Zimmer gelassen hatten. Ohne die Karten und Pläne darin wollten wir nicht durch den Tag irren, also liefen wir nochmal zurück. Dann ging es los zum Neujungfrauen-Kloster, wo wir eine ausgiebige Besichtigungsrunde durch Museum und Kirchen machten. Früher wurden Frauen aus einflussreichen Familien hier untergebracht, die sich unbeliebt gemacht hatten oder sonstwie im Weg waren. Die heutigen Bewohnerinnen sahen wir eifrig mit dem Smartphone hantieren. Nett waren zwei alte Kartenabreisserinnen, die jeweils ein Stückchen unserer Eintrittskarten abrupften und dabei umständlich beflissen erklärten, dass es drei Abteilungen gebe, und deshalb auch drei abzuknibbelnde Abschnitte usw. Eine der Alten schien sich die Langeweile damit zu vertreiben, dass sie aus den Abrissen Muster legte. Es kamen nicht viele Besucher. Nur zum Schluss trafen wir noch auf eine italienische Reisegruppe mit einem sehr bestimmenden Führer, der jeden Satz mit „Signori!“ begann. Wir sahen zahlreiche Ikonen und prachtvolle alte Malerei.
Neben den Klostermauern gibt es einen Friedhof, den wir auch noch besuchten. An den Begräbnisstätten kann man allerhand über eine Kultur lernen, deshalb gehören sie bei Städtereisen oft zu unserem Programm. Hier waren die Denkmäler opulent bildhauerisch gestaltet und bildeten oft die Verstorbenen zusammen mit den Insignien ihres Berufes ab. Wir sahen Waffen aller Art, Musikinstrumente, Denker, Redner und Tänzerinnen in Aktion und obwohl die Kyrilischen Inschriften für uns auch nach einigen Tagen noch nicht flüssig lesbar sind, fanden wir doch die Gräber von Chrustschow, Jelzin, Tolstoj, Gogol, Tschaikowski, Bulgakow und einiger anderer Berühmtheiten. Auf dem Friedhof waren auch ein paar Reisegruppen unterwegs, die Führerin immer mit einem bunten Schirmchen voraus.
Wir verließen den Friedhof, suchten in einer großen Siedlung nach einem Supermarkt und fanden im Souterrain eines Gebäudes einen Laden der österreichischen Billa-Kette. Wie auch sonst gab es hier alle nur denkbaren europäischen Lebensmittel- und Getränkemarken. Jedenfalls in diesem Bereich ist nach unserer Wahrnehmung nichts von Handelsbeschränkungen zu bemerken. Wir kauften Bananen, Gebäckstückchen, Kefir im Viertelliter-Tetrapack, Schokolade und Mineralwasser. Nach einigen Fehlversuchen können wir jetzt Wasser mit und ohne Kohlensäure ganz gut unterscheiden. Wir fanden keine freie Parkbank und vezehrten die Sachen vor der Metrostation im Stehen, anschließend gingen wir noch zu einem Kaffee in ein nahes Café.
Dann fuhren wir zurück in die Innenstadt und liefen wieder durch die Fußgängerzone Arbat, diesmal mit einem Besuch im Souvenirladen. Heute brauchten wir drei Versuche, um von einem Bankautomaten Geld zu bekommen und erhielten dann unsere ganze Abhebung in einem einzelnen Schein von 5000 Rubel (ca. 87 Euro), was zum Bezahlen für kleine Einkäufe etwas ungünstig ist. Wir saßen noch einige Zeit auf einer Bank und sahen den Leuten zu, die entlang kamen, dann gingen wir wieder ins „Varenichnaya“, wo es uns am Vortag schon gut gefallen hatte. In dieser Hinsicht neigen wir zur Standorttreue. Heute war es besonders nett, denn die asiatisch aussehende und noch etwas unbeholfene Kellnerin bekam Übersetzungshilfe von einem Kollegen und unsere Bestellungen wurden ein nettes Wechselspiel zwischen den beiden und uns.
Jemand hatte erzählt, man solle in Moskau Blickkontakte meiden, die Leute würden das nicht mögen. Nachdem ich es nur schwer vermeiden kann, den Mitmenschen in die Augen zu schauen, hatte ich mir schon Sorgen gemacht. Aber alles kein Problem. Blickkontakte werden aufgenommen, Lächeln wird erwidert, es ist alles sehr freundlich und unkompliziert. Nur die Wächterinnen und Wächter sind schwer zum Lächeln zu bewegen. Sie stehen an den Eingängen von Gebäuden und Bahnhöfen. Sie stehen mit Metalldetektor-Paddeln hinter den Detektor-Gates der U-Bahn-Stationen, Kaufhäuser, Museen, Freizeitveranstaltungen. Am Fuß aller längeren Rolltreppen sitzen meist Frauen in einer engen Kabine, etliche Monitorbilder vor sich und das Geschehen auf der Treppe fest im Blick. Bei dem immensen Fahrgastaufkommen darf der Personenfluss nicht stocken. Die Bahnen fahren in kürzestem Taktabstand, durch die langen Flure und über die Treppen der Umsteigestationen bewegt sich zu den Hauptverkehrszeiten ein dichter Menschenstrom.
Nach dem Essen flanierten und saßen wir noch auf der Straße. Immer wieder gab es Musikanten, die aufspielten. Bei einem Lokal war Bikertreff. In Reih und Glied standen die schweren hochglanzpolierten Maschinen da. Zum Teil abenteuerlich gekleidete Typen daneben. Während ich das schreibe, kommen zwei Maschinen mit LED-umkränzten Felgen vorbei. Radfahrer sind nicht sehr häufig und teilen sich die Wege meist mit den Fußgängern, zwischen denen sie sich mit hohem Tempo hindurchschlängeln. Ein Lokal am Arbat ist ein ausrangierter Omnibus, der Fahrerstand ist Bühne für Live-Musik. Als wir an diesem Tag vorbeikamen, erklang gerade der alte Hit „I’m a Believer“. Das Lokal gegenüber dem Bus heißt „Beverly Hills Diner“. Ich hätte noch lange an dieser Straße sitzen und darüber erzählen können, aber langsam wurde es spät und Friederike mochte die noch sehr übungsbedürftige Musik einiger Kids nicht mehr, die uns gegenüber saßen, also zogen wir durch den lauen Abend an dem auch bereits müde wirkenden Dostojewski-Standbild vor der Lenin-Bibliothek vorbei zu den Alexandergärten und mit einem Schlenker über den Roten Platz zurück ins Hotel. Es war gegen Mitternacht und eine Gruppe Asiaten, die sich von draußen irgendein Fertiggericht mitgebracht hatten, debattierten mit der Kellnerin über die Benutzung des schon zum Frühstück bereit liegenden Bestecks. Sie versprachen schließlich, zu spülen. Eine Italienerin skypte und wir tranken noch ein letztes Bier.