18. März 2016
Milano – Genova – Meer (22,5 km Rad)

Wir schliefen etwas unruhig in dieser ersten Reisenacht. Das ungewohnte Bett spielte dabei sicher eine Rolle, aber auch die Unsicherheit über die Weiterfahrt angesichts des Streiks. Bis zum Abend müssten wir unser Schiff in Genua erreichen. Mitten in der Nacht gab es draußen ein gewaltiges Donnern, wie von einer großen Explosion. Aber es folgten keine Polizei-,  Ambulanz- und Feuerwehrsirenen und so versuchten wir, wieder einzuschlafen.

Gegen Sechs ertönten unsere Wecker. Wir machten uns fertig, packten und checkten aus. Frühstück gab es um diese zeitige Stunde noch nicht. Am Bahnhof war es ziemlich ruhig, unser Zug stand bereit und war recht leer. Wir stellten unsere Räder in den Einstiegsbereich gleich hinter dem Lokführer und setzen uns in Sichtweite in die erste Etage. Der Zug war recht schäbig, aber es gab ein kostenloses offenes WLAN, sogar in einigen der langen Tunnels, die wir befuhren. Der Himmel war klar und blau. Ohne Verzögerung erreichten wir Genua.

image

Wir frühstückten prima Cappuccino und Croissants bei einer kleinen Bar in einer schmalen Straße nahe dem Bahnhof. Dann radelten wir kreuz und quer, auf und ab durch die Stadt. Durch ganz enge Gassen, in denen sich ein winziger Laden an den anderen reihte, die meisten von Arabern und Afrikanern betrieben; dann vorbei an grandiosen noblen  Palazzi. Wir besichtigten eine Kirche und das hübsche Rathaus, fuhren weit hinauf und konnten steil hinab in die Straßen unter uns schauen und in die Fenster der oberen Stockwerke. Die Stadt ist gestaffelt an die Steilküste gebaut. Einmal diente das Flachdach eines fünfstöckigen Hauses als Parkplatz, der von der oberen Straße her ebenerdig erreichbar war. In einem versteckt gelegenen Supermarkt kauften wir Proviant. Die Einheimischen schleppten schon große Kuchenschachteln mit „colombe“ nach Hause, den etwas trockenen Tauben aus Kuchenteig, die hier, ebenso wie die riesigen in bunte Metallfolie verpackten Ostereier, zum österlichen Brauchtum gehören.

image

Auf dem weiteren Weg kamen wir an einer Straßenblockade Streikender vorbei. In geringer Zahl, aber mit großem Lärm von Lautsprechermusik und einer großen Blechtonne, die enthusiastisch geschlagen wurde, sperrten sie ein wichtiges Straßenstück. Ihr Protest richtete sich gegen die Privatisierung der Verkehrsbetriebe.

Wir sahen von oben das Meer und fuhren hinunter, saßen lange an der Hafenpromenade und schauten den Leuten zu. Dann fuhren wir hinaus zum Passagierhafen, um die Einzelheiten unserer Abreise zu erkunden. Zunächst gerieten wir auf die Zufahrt für Kraftfahrzeuge bei den unteren Decks. Wir wurden zweifach kontrolliert und eingewiesen, aber der Weg endete in einer Autoschlange vor vergitterten Toren und so fuhren wir wieder hinaus auf die Straße und erreichten schließlich, nach einem schmerzhaften Sturz von Friederike, die einen Betonpoller am Straßenrand übersehen hatte, die Passagierzugänge. Da erfuhren wir nach einigem Fragen und Suchen, dass wir zunächst noch im Büro der Schifffahrtsgesellschaft einchecken und unsere Bordkarten holen müssten, das aber erst gegen 18 Uhr. So kehrten wir zurück zur Promenade und setzten uns noch für eine Weile in die Spänachmittagssonne.
image

Was uns in diesem Jahr auffiel, war ein Trend zum Vollbart bei jüngeren Männern. Wenn die Regel stimmte, dass uns Italien bei modischen Entwicklungen immer ein Stückchen voraus ist, dann stünden uns bärtige Zeiten ins Haus. Was uns in Genua außerdem auffiel, waren die großen Parkplätze, die eigens für Motorroller reserviert sind. Da standen jeweils dicht an dicht hunderte motorini an den Rändern von Straßen und Plätzen. Nicht Fahrräder lösen hier das Platzproblem, sondern Roller. Das Umweltproblem freilich lösen sie nicht.
image

Schließlich kehrten wir an den Hafen zurück. Da warteten wir mit einigen anderen Reisenden verschiedener Schiffe, sahen den Händlern zu, die Ein-Euro-Ramsch und trockene Gebäckkringel verkauften, gingen in einem Mega-Supermarkt einkaufen, suchten vergeblich nach einem Restaurant, das nicht McDonalds hieß, liefen mal hierhin, mal dorthin, holten unsere Bordkarten im Schifffahrtsbüro und langweilten uns ansonsten ausgiebig, bis wir gegen neun Uhr abends in Richtung Schiff aufbrechen konnten. An der Sperre vor einer langen Fußgängerbrücke gab es nochmal eine Verzögerung, bis weit unter uns fleißige kleine Zugmaschinen den größten Teil der Sattelauflieger ins Schiff bugsiert hatten. Dann durften wir los, mussten die Fahrräder am Ende der Brücke hochkant in einem viel zu kleinen Aufzug nach unten schaffen und durften sie dann in den Bauch des Schiffes bringen, wo ihnen ein Platz neben einigen Motorrädern zugewiesen wurde.

Wir selbst fuhren mit dem Lift in die siebte Etage, wo uns ein beflissener älterer Stewart in eine ganz erstaunliche Kabine geleitete. Die war recht geräumig, holzvertäfelt, mit reichlich Schränken und Schubladen, einem großen Doppelbett, eigenem Bad mit Wanne und einem Fenster mit Blick auf das Vorderdeck und nach vorne über das Meer – jetzt, am Abend, allerdings nur auf das Hafenbecken und die Lichter der sich das steile Ufer entlangziehenden Stadt. Wir richteten uns ein und gingen wieder hinaus, um das Schiff zu erkunden, mit seinen endlosen Fluren, Treppenaufgängen, Sälen, Lounges, Salons und Decks. Es gab sogar einen Raum mit zahlreichen großen und kleinen Hundekäfigen und einen mit Regalen für Katzentransportboxen.

Das Schiff schien nur wenig mit Passagieren belegt zu sein. Fahrgästen, die nur Schlafsessel gebucht hatten, wurden per Lautsprecherdurchsagen lukrative Upgrades in Kabinen angeboten. Nach einiger Zeit gingen wir ins beinahe leere Restaurant und aßen feine Spaghetti mit Meeresfrüchten. Als wir uns kurz nach Mitternacht schlafen legten, zeigte das Navi, dass wir mit etwa 43 km/h reisten, uns aber noch nicht sehr weit vom Festland entfernt hatten.