​4. August
Ciewen – Kienitz
(67 km) 

Wir hatten eine angenehm ruhige Nacht und wurden, dank des Fliegengitters vor dem Fenster,  auch nicht von Insekten belästigt. Im großen Saal, durch den wir zum Frühstück mussten, war alles schon fertig für die heutige Hochzeit dekoriert und etliche Menschen verbreiteten rund ums Haus allerlei Hektik mit weiteren Vorbereitungen. Baumstammsägen, Luftballonsteigen, bei der Hochzeit sollte wohl keine Attraktion fehlen. Wir ließen den Trubel hinter uns und fuhren los. Vom Hausdach sah uns einer der Jungstörche nach, die uns am Vortag von dort oben begrüßt hatten. 

Wir fuhren am Oder-Deich entlang und kämpften mit kräftigem Gegenwind. Nach einiger Zeit begegneten uns mehr und mehr Radfahrer, die den Oder-Neisse-Weg in nördlicher Richtung unterwegs waren. Wir hielten an einer Schleuse und sahen zu, wie sie sich flussabwärts öffnete, zwei Boote einfuhren, das untere Tor geschlossen und das obere ganz langsam geöffnet wurde, bis die Boote auf die Höhe des oberen Kanals gehoben waren. In der Weite des Oderbruchs weideten Schafe, ein Storch stakte zwischen ihnen herum. In Hohenwutzen fuhren wir kurz in den Ort zu einem sehr spartanischen kleinen Laden, um etwas Proviant zu kaufen. Etwas weiter lockte uns ein kleines Café.

Am späteren Nachmittag kam der Wind von hinten und wir flogen nur so dahin, meist unter dem Deich, ein Stück auch auf seiner Krone. Wir fuhren mit 25 und mehr Stundenkilometern und die Entfernung zum Ziel, die das Navi anzeigte, schwand zusehens,so dass wir schon Sorge hatten, viel zu früh bei unserer nächsten Unterkunft zu sein. Also gönnten wir uns gegen Drei eine lange Brotzeitpause auf dem Deich mit Blick auf die Weite des Oderbruchs. 

Einmal beobachteten wir einen riesigen Schwarm entengroßer Vögel, die sich, wie die Starenwolken, die wir schon seit Tagen immer wieder gesehen haben, am Himmel sammelten, wieder zerstreuten und an anderer Stelle wieder zu einer dichten Wolke zusammenballten. Ein sehr schönes Schauspiel, nur haben uns die Vögel leider Gattung und Art nicht verraten. 

Fast den ganzen Tag hatten uns die schwarzrotgelben Grenzpfähle begleitet, zu deren jedem sich, mal nah, mal ferner, auf polnischer Seite ein rotweisses Pendant ausmachen ließ. Nun waren wir in Groß Neuendorf, wo wir den Oderweg verlassen mussten, um zu unserer Unterkunft zu gelangen. Es gab da ein großes Bauwerk, das früher dazu gedient hatte,  Getreide zwischen Flussschiffen, Eisenbahn und LKW umzuladen. An einer ehemaligen Förderbrücke hingen an langen Seilen zwei Schaukeln, auf denen sich Jugendliche vergnügten. Der Turm des früheren Maschinenhauses war zu einem Hotel mit Gaststätte umgebaut und wir studierten schon einmal die Speisekarte für den Abend. Schilder verwiesen auf einen jüdischen Friedhof etwas abseits des Ortes, den wir kurz besichtigen. Dann erkundeten wir noch ein Lokal, das vom „Landfrauenverein Mittleres Oderbruch e.V.“  geführt wurde und in dem vor allem Gerichte mit Schmorgurken als Beilage angepriesen wurden. In einem dieser beiden Lokale wollten wir zu Abend essen. Vorerst fuhren wir noch die dreieinhalb Kilometer nach Kienitz Nord, wo wir telefonisch ein Zimmer bestellt hatten. 

 

Wir wurden von einer sehr freundlichen Frau in einem Privathaus empfangen, in dem es zwei kleine Ferienwohnungen gab. Im und um das Haus sah es nach regem Bastlergeist aus und im Hof stand ein zerlegter alter Radlader, der sich offenbar im Prozess der Restaurierung befand. Da wir früh dran waren, ließen wir uns Zeit, kümmerten uns um die Unterkunft für die nächstfolgende Nacht, machten uns frisch und entschieden uns schließlich, ins „Maschinenhaus“ essen zu gehen. Da gab es eine kleine Karte von Gerichten mit streng regionalen Zutaten, die uns recht gut schmeckten, dazu ganz dezent klassische Musik, unter anderem zweimal die Ode an die Freude in Instrumentalfassung. Irgendwie schuf das eine angenehm ruhige Atmosphäre. Die Gäste unterhielten sich alle in moderater Lautstärke. 

Am Ende konnten wir dann nicht widerstehen und schaukelten im Mondschein an der alten Förderbrücke. Das war sehr schön, nur als ich die Schaukel anhielt, stürzten sich die Mücken auf mich, als hätten sie auf diesen Augenblick gewartet. Nichts wie weg und zurück durch die Nacht, vorne links den fast schon vollen Mond, hinten rechts den letzten Schein des Abendrots. Unsere Räder schoben wir in die Tiefe des Grundstücks und ketteten sie zusammen. Den Platz sehen (und hören) wir von unserem Fenster aus.