Die Nacht im Hotel Kasina war nicht ganz störungsfrei. Draußen tropfte es kontinuierlich aufs Fensterbrett und irgendwo rauschte ein großes Gebläse. Von Zeit zu Zeit klopften Spätheimkehrer kräftig an Türen, um von ihren bereits schlafenden Zimmergenossen eingelassen zu werden. Im Zimmer der Mädels ließ sich die Tür zum Balkon mit dem imposanten Stadtblick nicht recht schließen ließ, so dass es kalt hereinzog. Andererseits waren wir müde genug von der Zugfahrt und deren physische Erinnerung rüttelte mich sanft durch die Nacht.
Morgens schneite es leicht und die Dächer waren mit einer dünnen Schneeschicht überzogen. Das Frühstücksbuffett im riesigen, leeren, kalt neonerleuchten Speisesaal war ohne Sensationen und der Kaffee gänzlich ungefährlich. Wir frühstückten und planten den Besichtigungstag.
Draußen erwarteten uns Schnee und glitschiger Matsch. Zuerst liefen wir zur Aleksandar-Nevski-Kirche, wo wir angenehm mit dem Rücken an einem Heizkörper saßen, die weiße Ikonostase vor uns, und den Gläubigen zusahen, die vor einzelnen Pulten innehielten und die dort liegenden Ikonen betrachteten, dann küssten, um zu einer anderen Ikone weiterzugehen, dann zu einem Kruzifix, auch dieses verehrten und küssten und schließlich, sich bekreuzigend, den Raum wieder verließen. Es gab Pulte mit fest eingebauten Ikonen, die an jeder Seite einen Münzschlitz hatten und andere, wo die Bilder lose auflagen und kein Münzeinwurf vorgesehen war. Nach einer Weile kam ein schwarz gekleideter junger Mann, der offenbar für die Kirche zuständig war. Er entfernte eine Blume, die bei einer Ikone abgelegt war und nahm Münzen, die jemand unter eines der lose liegenden Bildnisse geschoben hatte, und brachte sie zu einer Ikone mit Münzschlitz. So ist es wohl überall: die Gläubigen widmen Gebete und Gaben voller Bedacht, aus der Sicht der Diener des Tempels ist alles der gleiche Topf.
Friederike versuchte, das Tarifsystem der öffentlichen Verkehrsmittel zu erkunden und da es sich dem Fremden nicht so leicht erschließt, fuhren wir zu viert zum Preis von einem mit der Ring-Trambahn Nr. 2 zur Sava-Kirche. Eigentlich handelt es sich um eine Kirchenbaustelle, an der seit den 1930er Jahren gearbeitet wird. Der Bau, großenteils aus Beton, steht, von der Innendekoration existieren bislang nur Andeutungen. Kurz statteten wir noch der Nationalbibliothek nebenan einen Besuch ab, dann fuhren wir, diesmal richtig bezahlend, zur Sankt-Michaels-Kirche. Die war prunkvoll, aber eng, und überall standen Betende vor Ikonen, so dass wir leider nicht umhergehen konnten.
Zwei nette Cafés lernten wir im Laufe des Tages kennen, das Velvet nahe der Sava-Kirche und die sehr charmante Muha-Bar in der Kralja Pietra. Nach einem Provianteinkauf für die Weiterreise und einer Hotelpause machten wir uns auf die Suche nach dem Iguana, einem Speiselokal mit Live-Jazzmusik, das uns eine Frau aus dem Tourist-Office als ihren persönlichen Geheimtipp verraten hatte.
Da aßen wir ambitionierte internationale Küche und hörten dazu eine Combo, die Jazz Standards intonierte. Etwas störend, dass hier in allen Lokalen geraucht wird, was wir nicht mehr gewöhnt sind, aber alles in allem ein angenehmer Tagesausklang.