Für diesen Tag hatten wir uns allerhand vorgenommen. Um uns die Möglichkeit zu eröffnen, in den nächsten Tagen über den Schwarzwald-Panoramaweg nach Norden zu fahren, mussten wir über den Berg. Unsere Navigations-App sagte einen Anstieg von insgesamt etwa 930 Höhenmetern voraus und das war ein ordentliches Stück, auch wenn die Entfernung nicht weit war. Wir brachen also nach dem Frühstück auf, besorgten in einer Bäckerei und einem Supermarkt Proviant und machten uns auf den Weg. Der Start war schon einmal gar nicht so einfach, denn die Wegweiser im Ort zeigten in eine andere Richtung, als die von mir geplante Route. Wir beschlossen, zunächst den Wegweisern zu folgen und fuhren sanft ansteigend los. Nach einer Weile zweigte ein weiterer Radweg rechts ab, der auch mit „Titisee“ beschriftet war. Es begann, verwirrend zu werden, zumal uns, als wir in der Ortschaft Himmelreich an die Hauptstraße gelangten, ein Paar entgegen kam, das nach einigen Kilometern entnervt vom starken Verkehr und den vielen großen LKW umgekehrt war. Mein Navi hingegen zeigte, dass die Fahrradroute nur etwa so lange der Hauptstraße folgen würde, bis es dort einen Radweg gäbe, und so fuhren wir weiter.
Dieser Plan erwies sich als richtig, denn alsbald zweigte ein Weg ab und es ging recht steil aufwärts und weg von der Straße. Zunächst schoben wir teilweise, dann wurde es entweder flacher oder wir gewöhnten uns an die Steigung, jedenfalls konnten wir mit ausreichend vielen kurzen und einigen etwas längeren Pausen den sehr gleichmäßig ansteigenden Weg gut bewältigen.
Hohe Bäume spendeten Schatten und wo sie in Wegbiegungen eine Lücke ließen, boten sich schöne Ausblicke auf die Täler und Höhen des Schwarzwalds.
Zunächst kamen noch gelegentlich Autos, offenbar Besucher einer beliebten Hütte mit Gastronomie oben am Berg. Einmal passierten wir auch zwei Männer mit Traktoren, die damit beschäftigt waren, Sturmschäden an Bäumen zu beseitigen. Dann zweigte die Straße zur Hütte ab und wir waren allein. Selten gab es einen beschrifteten Wegweiser und die einfachen grünen Pfeile dazwischen schufen oft eher Unsicherheit, weil nicht klar war, auf welche Route sie sich bezogen. Ein Standardproblem dieses deutschlandweit eingeführten Systems für Fahrradrouten, das nur dann gut funktioniert, wenn diejenigen, welche die Schilder planen, nicht von ihrer eigenen selbstverständlichen Ortskenntnis ausgehen, sondern den fremden Besucher im Auge haben.
Einmal überholten uns drei junge Männer und alsbald trafen wir sie an der Männlehütte wieder, wo ein frischer Quellbrunnen zum Trinken und zum Füllen unserer Wasserflaschen einlud. Im Vergleich zu den bisherigen Tagen unserer Reise war es jetzt zwar beinahe kühl, mein kleines Thermometer zeigte nur noch knapp 20 Grad, aber der Anstieg brachte uns doch ins Schwitzen.
Schließlich hatten wir mit 1060 Metern den höchsten Punkt unserer Tagesetappe erreicht und freundliche Menschen hatten gleich an dieser Stelle eine Bank aufgestellt, auf der wir nun ausgiebig Rast machten. Neuerdings trinken wir bisweilen Ayran und dieser leicht gesalzene türkische Joghurttrunk passt gut zu unseren schweißtreibenden Fahrten.
Von da an ging es, von einigen kurzen Steigungen abgesehen, wieder nach unten und wir kamen zum Titisee, wo zum dort offenbar üblichen Touristenrummel noch die Arbeiten zum Aufbau eines Volksfestes kamen. Damit hingen die Reisenden aus allen Weltgegenden nicht nur in Trauben vor den Andenken- und Kuckucksuhrenläden, sondern mussten sich auch noch zwischen den Fahrzeugen der Vereins-Aktiven hindurchdrängen, die dabei waren, Stände und Wurstbuden aufzubauen. Sogar ein veritables Riesenrad war aufgestellt worden. Überall herrschte Gedränge. Und wir mit unseren Fahrrädern mittendrin.
Auf dem See kreuzten Tretboote und Ruderboote und kleine Motorboote und Ausflugsschiffe und von der Bergsee-Idylle, die den Titisee wohl einmal bekannt und beliebt gemacht haben mochte, war nichts mehr zu sehen und zu spüren. Der Tourismus besichtigte eigentlich auch hier, wie an vielen „Attraktionen“ auf der Welt, nur noch sich selbst.
Wir fuhren weiter, meist schwungvoll abwärts, und gelangten schließlich zu unserem Hotel in Neustadt, einem einst prachtvollen alten Bau, der nun ein Tagungshaus beherbergte und in dem große festliche Säle noch vom alten Glanz kündeten. Unser Zimmer im Giebel über dem dritten Stock war groß und nobel, mit Sofa und Tisch und Balkon, nur der Anstieg dorthin war etwas lang und der WLAN-Access-Point hing draußen im Flur an seinem Kabel von der Wand und sendete meistens zu schwach. Bürgerliches Essen gab es in einem nahen Lokal mit ähnlich traditionsreichem Glanz, aber zu sehr moderaten Preisen. Für den Weg da hin trug ich erstmals auf dieser Reise meine Strickjacke, denn der Abend war kühl.